Tourenwoche 1996 des Skiclub Bütschwil

An der Skitourensitzung im November wurde das Tourenprogramm Winter 1995/1996 zusammengestellt. Beim Traktandum Skitourenwoche ist der mutige Entscheid - bezwingen der Haute-Route von Chamonix nach Zermatt - zustande gekommen. Beim einen oder anderen, zu denen auch ich gehöre, kam ein zweifelhaftes Gefühl auf, ob dies wohl in persönlicher Reichweite sei? Der Termin wurde dann, in Anbetracht der extremen Höhe, auf Ende April angesetzt. Die Leitung übernahm der vielfach bewährte Hobyskitouren- und Bergführer Hanspeter Willi. Somit begann für jeden Interessierten während des Winters eine möglichst gute Konditionsvorbereitung.

Als dann der Zeitpunkt zum grossen Unternehmen immer näher rückte, kam eines Abends ein Anruf von Hampi mit der Nachricht, dass die Idee von der Alpenüberquerung im Wallis begraben werden müsse. Als Begründung nannte er ungenügende Schneemenge, gefährliche Gletscherspalten, häufige Seilsicherungen sowie riesige Fussmärsche auf aperem Gelände. Als Alternative schlug er das Ortlergebiet im Südtirol vor.

Sonntag, 21.4.1996
Ziel: Zufallhütte im Martelltal (Ortleralpen)

Punkt 0600 Uhr erscheint unser 'Chef' Hampi Willi mit seinem Saab im Spelteriniquartier in Bazenheid. Nach der Begrüssung erklärt uns Hampi, dass wir nur zu dritt fahren. Heinz Müller sei noch als Fussball-Natifähnliwinker engagiert und folge uns einen Tag später. Peter Sonderegger, der 'Kilimandscharo-Bezwinger', erwarte uns am Ausganspunkt in Sulden.

Nach dem Verlad der Rucksäcke und Hochtourenutensilien fahren wir Richtung Vorarlberg. Um sich ein Bild über die Schneemenge im Gebirge zu ermitteln, wählt Hampi die Route über den Arlberg. So fahren wir dann weiter nach Landeck und über den Reschenpass ins Vintschgau. Bei der Abzweigung Stilfserjoch geht es dann aufwärts ins bekannte Skiort Sulden. Auf Anhieb finden wir den schon braungebrannten Peter Sonderegger im Hotel Cristal, er hat soeben eine Woche Skiferien im Samnaun hinter sich. Nach dem erfrischenden Kaffee begeben wir uns vollbepackt zur Seilbahnstation und lassen uns, wohl unbequem mit den Rucksäcken an der Körperfrontseite, aber ohne grossen Aufwand von 1900 m auf 3150 m transportieren. Am Ende des modernen Vierersessellifts ziehen wir voll motiviert die Skier an und steigen noch zur 3325 m hohen Schöntaufspitze auf. Der schnelle Wechsel vom Talboden in die Dreitausenderregion bereitet hauptsächlich mir einige Schwierigkeiten beim Atmen. Die prächtige Rundsicht, der Ortler und die Königsspitze direkt vor der Nase und die Südtiroler Berge und Alpentäler lassen natürlich sofort alles vergessen.

Nach der ausgiebigen Rast wagen wir uns mit wackeligen Beinen auf die Abfahrt. Kurz nach dem Start fahren wir schon zum ersten Steilhang, den wir vorwiegend mit Abrutschen bewältigen. Immer auf der Suche der Ideallinie mit der grössten Schneemenge stechen wir talabwärts zur Zufallhütte, die uns während des gesamten Aufenthaltes als Unterkunft dient. Schon die erste Abfahrt hat seine Tücken, je weiter wir uns der Hütte nähern, wird der Schnee immer 'fauler'. Es ist kaum zu vermeiden, mit einem gelegentlichen Taucher die Schneetiefe zu messen. In meiner Nähe landet Peter so unglücklich, dass ich ihm beim Befreien fast ein Bein ausdrehe. Nach all den Mühen kommen wir bei der Hütte an. Auf der einladenden Sonnenterrasse lassen wir uns das erste Bierchen schmecken. Nach dem ausgiebigen Feierabendgenuss, Nachtessen und Lagerbezug geht der erste Tourentag dem Ende entgegen.

Montag, 22.2.1996
Ziel: Köllkuppe (3330 m)

Kurz nach 0600 Uhr lassen wir uns das Frühstück auftischen. Bei prächtig schönem Frühlingswetter, fast zu warm für Skitouren, starten wir Richtung Köllkuppe. Unweit der Hütte steigen wir schon in eine anstrengende Steilpassage ein, die schon die ersten Schweisstropfen fordert. Dann folgt ein weites Tal, abwechselnd mit Schneedecke und Alpenrosenstauden. Eine neue Steilstufe erwartet uns uns nochmals, bevor wir in die Gletscherregion eintreten. Um die Mittagszeit sind wir beim Skidepot. Der kurze Aufstieg zum Gipfel belohnt uns wiederum mit einer prächtigen Aussicht bis weit in Richtung Dolomiten und Italiener Berge. Unterhalb des ersten Gletschers finden wir einen herrlichen Jauseplatz. Zur grossen Überraschung packt Hampi aus seinem ohnehin schon superschweren Rucksack eine Flasche Wein aus. Die nachfolgende Abfahrt bis zur oberen Steilstufe ist ein voller Genuss. Erst im unteren Drittel stossen wir wieder auf den 'Taucherschnee'. Kaum angelangt bei der Hütte, trifft der fehlende Heinz Müller im Alleingange ein. Somit ist nun die Crew komplett.

Dienstag, 23.4.1996
Ziel: Rifugio Casati CAI (3254 m)

Über Nacht hat sich die Wetterlage verschlechtert. Schon beim Abmarsch von der Hütte hängt der Nebel weit in die Gletscherregion hinunter. Wieder über die unmittelbar nahe Steilstufe gelangen wir in das weitläufige Tal vom Langerferner. Kurz vor dem Gletschereinstieg verpflegen wir uns und rüsten uns für den Weiteraufstieg hochtourenmässig aus. Am oberen Rand vom Gletscher stossen wir in dichten Nebel. Nur dank den leicht ersichtlichen Spuren unserer Vorläufer, es war eine Gruppe Italienischer Alpinis, finden wir die ausgesetzte Casatihütte. Nach einem stündigen Aufenthalt in der Hütte geht es wieder durch die neblige 'Milchsuppe' talwärts. Inzwischen zeigt sich wieder eine verbesserte Wetterlage, sodass wir die durchschwitzten Kleider auf der Terrasse der Unterkunft trocknen können.

Mittwoch, 24.4.1996
Ziel: Fürkelescharte (3032 m)

Für heute ist ein Schonprogramm angesagt. Der Aufstieg führt uns wieder über die zwei Steilstufen zum Furkeleferner. Bei zunehmend sonnigen Auffhellungen zeigt sich die Bergwelt immer sympathischer. Auf dem Gletscher erkennen wir die Spur, die uns dann morgen zum Monte Cevedale führen soll. Der Gedanke, dass der Weg am nächsten Tag noch drei mal länger sein soll, drückt mir derart auf die Moral, dass sich bei mir sogleich die ersten Ermüdungserscheinungen bemerkbar machen. Mit der Wetterbesserung und dem spürbaren Wärmeeinbruch bereitet uns die Rückfahrt zur Hütte, das wieder mit unangenehmem Pflügen durch den Weichschnee gemeistert werden muss, etwelche Schwierigkeiten.

Donnerstag, 25.4.1996
Ziel: Monte Cevedale (3769 m)

Frühzeitig starten wir zum Höhepunkt der diesjährigen Tourenwoche. Statt dem erwarteten Schönwetter ist der ganze Alpenkranz mit düsteren Wolken behangen. Nach dem Motto 'es kann nur besser werden' steigen wir Richtung Zufallferner. Bei der gestrigen Abzweigung rüsten wir uns wieder hochtourenmässig aus. Immer wieder hochschauend, ob nicht doch noch die Sonne durchdrückt, steigen wir den Gletscher empor. Mit zunehmender Höhe werden die Nebelverhältnisse immer unheimlicher, sodass Hampi mehrmals zur Karte und Kompass greifen muss. Bei kritischen Situationen hört er nicht mehr auf Ratschläge der Kameraden. Er ist so vertieft in seine Orientierungsutensilien, dass er stumm bleibt wie ein Fisch. Vielleicht könnte es auch sein, dass er die Berggeister um Hilfe anruft. Mit Müh und Not und total erschöpft erreichen wir dann doch noch den Gipfel. Bei dichtem Nebel wünschen wir uns Berg Heil und kehren sogleich wieder zum Skidepot zurück. Meterweise geht es dann vorsichtig wieder abwärts. Hampi führt uns, immer in Sichtweite, langsam aber sicher in die angenehmere Zone des Gletschers. Die nun folgende Traumabfahrt auf der unendlichen Ewigschneefläche wird jedem Teilnehmer eine unvergessliche Erinnerung bleiben. Der sonst übliche Matschschnee ist dank tieferen Temperaturen wie verschwunden, sodass wir problemlos bei der Hütte eintreffen.

Freitag, 26.4.1996
Ziel Rückkehr nach Sulden über das MadritschJoch (3123 m)

Nach dem Abrechnen mit der sympathischen Hüttenchefin nehmen wir gemächlich den letzten 'Steiss' in Angriff. Wieder bei schönem Wetter geht es dem Madritschjoch entgegen. Die steigende Wärme ist nicht nur anstrengend beim Aufwärtsgehen, sondern die oberen Steilhänge sind bezüglich Lawinengefahr nicht ganz unbedenklich. Kurz vor dem Joch schalten wir nochmals eine ausgiebige Rast ein. Der noch verbliebene Tee schmeckte nach den Strapazen wie Champagner. Auf der anderen Talseite sind wir schon im Pistengebiet von Sulden. Nach einem Zwischenhalt im Seilbahnrestaurant fahren wir weiter bis zur untersten Sektion der Bergbahn. Das restliche Stück bis zur Talstation müssen wir wegen Schneemangels mit der Gondel zurücklegen.

Wieder auf dem Erdboden, stürzen wir uns sogleich in saubere Kleider und verstauen die Skier und Rucksäcke in den Autos. Auf dem Heimweg kehren wir in Landeck nochmals ein, um mit Hampi die Finanzen zu begleichen.

Rückblickend dürfen wir alle auf eine gelungene, unvergessliche Tourenwoche zurückschauen. An dieser Stelle möchte ich es nicht unterlassen, im Namen der gesamten Tourengruppe unserem Leiter Hanspeter Willi für seinen aufopfernden Einsatz recht herzlich zu danken. Es ist immer erstaunlich, wie sich Hampi für solche Unternehmen in fachlicher und leitender Weise zur Verfügung stellt. Es ist schade, dass sich für derartige Clubangebote nicht mehr Mitglieder angesprochen fühlen.

Teilnehmer:
Paul Kuhn, Heinz Müller, Peter Sonderegger, Köbi Wichser und Hanspeter Willi.


verfasst durch: Köbi Wichser
Quelle: SCB-Infos Nr. 4/1996