Tourenwoche 1997 des Skiclub Bütschwil

Alle Jahre wieder, etwa zwei Wochen vor der geplanten Tourenwoche, werden die Wettervorhersagen und die Schneeberichte besonders aufmerksam verfolgt, denn zum guten Gelingen der Woche muss das Wetter einfach stimmen. Als wir dann von unserem Tourenleiter Hampi das minutiös ausgearbeitete Programm erhielten, war es eigentlich bis zwei Tage vor der Abreise klar, dass wir die Woche im Flüela-Albula-Gebiet verbringen würden. Umso grösser war dann am Samstag die Überraschung, als Hampi uns einen Gebietswechsel vorschlug. Die Bündneralpen wären nicht zu empfehlen, war sein Kommentar und so machten wir uns in einer Blitzaktion auf die Suche nach einer Ausweichmöglichkeit in südlichere Regionen. Und siehe da, entgegen den Befürchtungen von Hampi, fanden wir in der sonst meist überfüllten Branca-Hütte im südlichen Ortlergebiet einen idealen Ausgangspunkt für unsere Tourenwoche. Nachdem wir im letzten Jahr das nördliche Ortlergebiet durchstreiften, freuten wir uns darauf, jetzt die Südseite des riesigen Gletschergebietes kennen zu lernen.

Sonntag, 16.3.1997

Bei trübem, regnerischem Wetter trafen sich um acht Uhr beim Bahnhof Bütschwil das 'Fähnlein der sieben Aufrechten':

Heiri Forrer, Peter Spinatsch, Hampi Willi
Heinz Müller, Köbi Wichser, Peter Sonderegger, Paul Kuhn

Nicht wie vorgesehen mit der Bahn nach Davos, sondern per Auto gings los Richtung erstes Ziel: Bivio, wo wir uns auf der fünfstündigen Fahrt den ersten kurzen Halt erlaubten. Über dem Julierpass empfingen uns die ersten Sonnenstrahlen und auf dem Berninapass erfreute uns fast kitschiges Postkartenwetter, der Entscheid nach Süden auszuweichen war also richtig. Nach der Mittagspause kurz vor dem Grenzübergang ins frühlingshafte Veltlin gings weiter über Bormio nach Santa Caterina im Val Furva, dem Ausgangspunkt unserer Tourenwoche. In dieser überfüllten Skisportstation galt es nun einen Parkplatz zu finden, sich für den Hüttenaufstieg umzuziehen, den Rucksack und die Skis bereit zu machen und zu versuchen, eine Fahrgelegenheit ins Valle dei Forni zu finden, um nicht mit einem 10 km langen Aufstieg auf einer befahrbaren Strasse starten zu müssen. Dieses Problem war schnell gelöst, in einem Landrover erreichten wir nach abenteuerlicher Fahrt den kleinen Stausee beim Rifugio dei Forni auf 2170 m Höhe. Den Aufstieg zur Branca-Hütte auf einer vereisten Schneetöff-Spur bewältigten wir trotz den schweren Rucksäcken locker, hatten wir doch auf dem ganzen Weg das imposante Becken des Fornigletschers vor Augen. Angekommen in der Hütte auf Säntishöhe stellten wir zu unserer Überraschung fest, dass wir es hier eher mit einem Hotel als mit einer Hütte zu tun hatten, was uns auch das erste Abendessen bestätigte.

Montag, 17.3.1997

Das Ziel des ersten Tages war die Punta San Matteo mit 3678 m Höhe, ein geschichtsträchtiger Berg aus dem ersten Weltkrieg. Auf einer langen, eher flachen Gletscherzunge konnten wir uns zuerst einmal richtig einlaufen, bevor der Aufstieg auf den immer steiler werdenden Fornigletscher so richtig begann. Dank der Führungsarbeit mit geschickter Geländewahl durch Hampi kamen wir bei idealen Wetterbedingungen gut voran. Erst das eigentliche 'piece de resistance', ein steiler Eishang kurz vor dem Erreichen des Gipfelgrates bereitete uns mit den vielen Spitzkehren etwas Mühe.
Auf dem Grat angelangt erwartete uns ein eisiger Sturmwind, der das Aufbieten aller Kräfte verlangte. Kurz unterhalb des Gipfels suchten Paul, Köbi und ich in einer Mulde etwas Windschutz und verzichteten auf den Gipfel. Was für eine Überraschung war es dann, als wir hörten, dass ganz oben sozusagen Windstille herrschte. Die lange Abfahrt bei guten Schneeverhältnissen entschädigte uns für die unerfreulichen Bedingungen auf der Punta San Matteo. Dass wir zum Abschluss der Tour noch einmal die Felle montieren mussten, um den kurzen Aufstieg zur Hütte zu bewältigen, war nicht besonders beliebt. Umso beliebter war das anschliessende Relaxieren mit dem Molotow-Jass zum Abschluss des Tages.

Dienstag, 18.3.1997

Nachdem uns die Tour am Montag in Richtung Süden führte, wählten wir für heute den östlichen Teil des Fornigletschers aus. Der 3703 m hohe Palon de la Mare war angesagt. Ein gemütliches Einlaufen gab es nicht, eine steile Moräne musste zuerst bewältigt werden und noch vor der 3000 m Höhe galt es in einem schmalen Kamin dutzendweise die Spitzkehren zu üben. Nach diesem Effort ging es dann gemütlicher zur Sache. Der langgezogene, gleichmässig ansteigende Gletscher erlaubte ein kräfteschonendes Vorwärtskommen. Nur die Kleiderwahl bereitete Sorgen, an geschützten Stellen wars sommerlich heiss und kaum hatten wir unsere Jacken ausgezogen, erreichte uns der schon bekannte eisige Nordwind. Besonders ungemütlich stürmte es beim Skibiwack, etwa 100 m unter dem Gipfel. Doch auch hier wurden wir von den Naturgewalten überrascht. Auf dem langen übergletscherten Gipfelgrat konnten wir bei Windstille die Aussicht ins Gebiet der letztjährigen Tourenwoche geniessen. Unterschiedliche Schneebeschafftenheiten prägten die Abfahrt, doch die Bedingungen im berüchtigten Kamin und auf den letzten Steilhängen waren sensationell. Gutgelaunt kamen wir in der Hütte an, nutzten die letzten Sonnenstrahlen auf der Terrasse und genossen die vorzügliche Infrastruktur.

Mittwoch, 19.3.1997

Mit besorgten Blicken schauten wir am frühen Mittwochmorgen gegen den Himmel. Der kalte Nordwind, der vermutlich für das sonnige Wetter verantwortlich war, schob Nebelschwaden vor sich hin, die den Pizzo Tresero verhüllten, den wir an diesem Tag auf dem Programm hatten. Trotzdem marschierten wir zur gewohnten Zeit, etwa um acht Uhr in Richtung Fornigletscher los. Der erste Teil der Route war uns von der Montagtour her bekannt. Nach einer Stunde schwenkten wir jedoch Richtung Westen ab und vorbei an gewaltigen Abbrüchen gewannen wir bei leichtem Neuschnee rasch an Höhe. Hie und da verzogen sich die Nebelschwaden, sodass wir den 3594 m hohen Pizzo Tresero im Auge behalten konnten. Der letzte steile Hang bis zum Gipfelgrat verlangte uns noch einiges ab. Oben angekommen, begrüsste uns zuerst unser treuer Begleiter, der Nordwind. Bei mehr oder weniger guten Sichtverhältnissen ging es zu Fuss über den schmalen Grat zur Spitze. Die Sicht war nicht berauschend, mit etwas Glück konnten wir das Valle di Gavia mit der gleichnamigen berühmten Pass-Strasse erblicken und im Nordosten zeigten sich zwischen den Nebelschwaden die bekanntesten Spitzen der Ortlergruppe. Wir beschlossen, die Mittagspause an einer geschützten Stelle tiefer unten auf dem Gletscher zu machen. Deshalb nahmen wir die ersten Hänge nach einem äusserst kurzen Gipfelaufenthalt unter die Skis. Nach der verdienten Pause verlief die Abfahrt durch ein langes, zum Teil auch schmales Couloir. Wir waren uns einig, diese Routenwahl war einer der Höhepunkte der ganzen Woche. Dass deswegen der abschliessende Hüttenaufstieg noch etwas länger wurde, störte uns nicht. Zudem stand uns in der Hütte genügend Erholungszeit zur Verfügung.

Donnerstag, 20.3.1997

Der Monte Vioz ist der südöstliche Eckpfeiler des Fornigletscher-Beckens. Dank den stabilen Wetterbedingungen konnten wir auch diesen 3645 m hohen Berg besteigen. Auf der gleichen Route wie am Dienstag war zuerst das uns bekannte Kamin zu meistern, dann folgte ein steiler Übergang am Rande von riesigen Gletscherabbrüchen, den wir zu Fuss mit den Skis auf dem Rucksack bewältigten und erst danach folgte der zweistündige Gletscheraufstieg mit den Skis an den Füssen bis zum Gipfel. Aus bekannten Gründen war der Gipfelaufenthalt wiederum sehr kurz. Fast fluchtartig verliessen wir unser Tagesziel und suchten einen windgeschützten Pausenplatz. Die Abfahrt entschädigte uns wiederum voll für die Mühen des Aufstieges, auch wenn wir den heiklen Übergang mehr oder weniger elegant rutschend passieren mussten. Das Erholungsritual in der Hütte hatte sich bis am Donnerstag so richtig eingespielt. Das soll aber nicht heissen, dass wir uns langweilten.

Freitag, 21.3.1997

Auf der Abschlusstour ging es zur Abwechslung nicht auf den Fornigletscher, sondern von der Hütte aus in Richtung Norden zum Monte Pasquale. Der Aufstieg in einem langen tiefen Tal brachte wenig Abwechslung, ausser der unfreiwilligen Demonstration des Airbag-Rucksackes von Hampi während einer kurzen Rast. Am Endes des 2 km langen Tales ging es dann richtig los. Etwa 300 m Höhendifferenz waren in einem steilen, vereisten Hang zu überwinden. Gute Harscheisen und Spitzkehrentechnik waren verlangt. Das letzte Stück zum fast eingenebelten Gipfel mit Rekordwindstärken wurde zu Fuss zurückgelegt und schnell folgte der Rückzug in gemütlichere Regionen. Vieles konnten wir da oben nicht sehen, der Anblick des vereisten Nordhanges des Nachbarberges Cevedale war jedoch beeindruckend. Mit einer rassigen Abfahrt bis zur Hütte konnten wir auch die letzte Tour erfolgreich und unfallfrei abschliessen. Nach dem Nachtessen wechselten beim Molotow zum letztenmal ein paar Hunderter (Lire) den Besitzer und zufrieden über das Geleistete verbrachten wir die letzte Nacht in der Branca-Hütte.

Samstag, 22.3.1997

Hektische Aufbruchstimmung herrschte am Heimreisetag schon vor dem Frühstück. Obwohl all die herumliegenden Siebensachen wieder in den Rucksack passen? Pünktlich um acht Uhr starteten wir zur Abfahrt Richtung Ausgangspunkt. Dank der hartgefrorenen Unterlage konnten wir die letzten Schwünge trotz den schweren Rucksäcken in eleganter Manier hinzaubern. Auf der halsbrecherischen Rückfahrt im Landrover stockte hie und da der Atem und wir waren froh, als wir heil in Santa Catarina ankamen. Auf der gleichen Route wie wir gekommen sind, ging es dann heimwärts.

Eine gelungene Tourenwoche ging viel zu schnell zu Ende. Erfolgreich war sie dank der guten Kameradschaft und der umsichtigen Führung durch Hampi.

Vielen herzlichen Dank Hampi.


verfasst durch: Peter Sonderegger
Quelle: SCB-Infos Nr. 3/1997